Rede
Carina Gödecke
Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen
25-Jahre Ottilie-Schoenewald-Weiterbildungskolleg
24. August 2012, 17 Uhr, Wittener Str. 61, Bochum
Sehr geehrter Herr Dr. Brinkmöller-Becker
Verehrte Frau Bürgermeisterin Platzmann-Scholten, liebe Astrid,
Frau Bödecker, liebe Karin
verehrtes Lehrerkollegium,
sehr geehrte Studierende,
liebe Mitglieder des Fördervereins und Freunde des Ottilie-Schoenewald-Weiterbildungskollegs!
I.
„Bildung soll allen zugänglich sein. Man darf keine Standesunterschiede machen.“
Mit diesem Satz, den der chinesische Philosoph Konfuzius schon vor rund 2.500 Jahren prägte und der nach wie vor aktuell ist, überbringe ich Ihnen zum 25-jährigen Schuljubiläum die besten Grüße und alle guten Wünsche des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Dass ich das nicht nur als örtliche Bochumer Abgeordnete, sondern auch als Präsidentin unseres Landesparlamentes tun darf, ist eine – gerade auch für unsere Stadt – bemerkenswerte und schöne Konsequenz der letzten Landtagswahl.
Der zweite Bildungsweg in Deutschland hat eine lange und wechselhafte Geschichte und mit ihm verbindet man auch bekannte Persönlichkeiten wie Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Ex-Bundesminister Dr. Norbert Blüm oder Ministerpräsident Kurt Beck.
In vielen Biografien Prominenter findet man den Hinweis auf den zweiten Bildungsweg. Und stets ist es der Hinweis darauf, was man sich aus eigenen Kraft und selbst erarbeitet hat, dass man nachträglich Bildung erworben hat, dass man es geschafft hat, obwohl die familiären Verhältnisse ganz und gar nicht rosig waren. Es im zweiten Bildungsweg geschafft zu haben, ist etwas worauf Menschen zu Recht sehr stolz sein dürfen. Gestern, Heute und ganz gewiss auch Morgen.
Die abschlussbezogene Erwachsenenbildung steht ganz in der Tradition der früheren Arbeiterbildungsvereinen und sollte von Beginn an denen, denen die Bildung nicht per se in die Wiege gelegt wurde, den Zugang zu mehr Bildung und größeren Chancen eröffnen. Gerade für meine Partei war und ist dieser Gedanke der Zweiten Chance ganz wichtig.
Deshalb gab es gar kein Überlegen, als die Einladung zum heutigen Jubiläum eintraf.
Mit anderen Worten - meine Damen und Herren - ich bin ausgesprochen gerne heute hier und freue mich, dass ich stellvertretend für 237 Landtagsabgeordnete bei diesem Jubiläum reden darf. Zumal ich seit Beginn meiner parlamentarischen Arbeit mit dem Zweiten Bildungsweg eng verbunden bin. Und das sind ja immerhin auch schon 17 Jahre.
Gleich zu Anfang will ich – mit Blick auf die Studierenden und Ihre Vertretung – sagen: ich weiß, dass wir Politiker in Düsseldorf in Bezug auf Sie und Ihre nicht einfachen Lebens- und Studienbedingungen noch eine offene Baustelle haben. Nämlich das Schokoticket!
Gemeinsam mit meinen Kollegen aus Bochum und denen aus dem gesamten Ruhrgebiet fühlen wir uns nach wie vor in der Verantwortung, den bereits in der letzten Legislaturperiode beschlossenen Antrag zu den Fahrtkosten auch mit Leben zu füllen. Das ist nicht vergessen, aber leider noch immer nicht erledigt.
II.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste,
unser Bochumer Weiterbildungskolleg trägt seit dem Wintersemester 2005/2006 den Namen Ottilie-Schoenewald-Weiterbildungskolleg.
Ottilie Schoenewald, eine 1883 als Ottilie Mendel in Bochum geborene und aufgewachsene Jüdin, überaus engagiert in der sozialen Arbeit und der Kommunalpolitik - von 1919 bis 1926 gehörte sie dem Stadtparlament an -, 1938 emigriert wegen der zunehmenden Nazi-Verfolgung und 1961 in den USA gestorben, war eine vorbildliche Kämpferin für Frauenrechte und Chancengerechtigkeit. Deshalb ist der Name für die Schule mehr als nur eine Bezeichnung, dieser Name ist gleichsam auch ein Auftrag. Ein Auftrag, den das Weiterbildungskolleg in seinem Schulprogramm unter anderem auch mit den Begriffen Erinnerungsarbeit und Identitätsstiftung beschreibt.
Zur Identität der Schule gehört es schon immer, jungen und älteren Erwachsenen das nachträgliche Erlangen aller Schulabschlüsse zu ermöglichen. Seit 25 Jahren trägt das Weiterbildungskolleg damit dazu bei, mehr Chancengerechtigkeit im Bildungsbereich zu schaffen und der von mir eingangs zitierten Forderung nach Überwindung sozialer Ungleichheiten gerecht zu werden.
Und in diesen 25 Jahren hat sich das Kolleg - stets orientiert an den Bedürfnissen der Studierenden – zum einen kontinuierlich weiterentwickelt, und zum anderen auch mit guten Argumenten verhindert, dass politische Anforderung und Vorstellung realisiert wurden. Alle Kundigen unter Ihnen wissen sehr genau, was ich meine. Auch dafür meinen herzlichen Dank verbunden mit dem Wunsch, dass die Weiterbildungskollegs insgesamt und unsere Ottilie ganz besonders so innovativ und fortschrittliche bleiben, wie ich sie kenne.
III.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir ein kurzes, grundsätzliches Wort zur Notwendigkeit von Bildung und der Chancengerechtigkeit in der Bildung:
Der Wert von guter Bildung ist längst nicht mehr nur das Credo der Fachleute. Der Wert guter Bildung ist heute mehr denn jemals zuvor im Bewusstsein der Menschen.
Bildung ist Menschenrecht – diese Grundüberzeugung wird inzwischen breit ausdifferenziert:
- Bildung ist Teilhabe
- Bildung ist Integrationspolitik
- Bildung ist präventive Sozialpolitik
- Bildung stützt und stärkt die Demokratie
Lassen Sie mich an dieser Stelle und an diesem Ort auch Allen danken, die gestern wieder einmal eindrucksvoll und sehr lautstark dazu beigetragen haben, dass Rechte, Rechtsradikale und Nazis in Bochum kein Gehör finden.
- Bildung, meine Damen und Herren, sichert den Wohlstand aller
- Bildung ist Standortfaktor für Kommunen
- Kurz: Bildung sichert nachhaltig die gute Zukunft unserer Gesellschaft.
Wenn Bildung die Vermittlung von Wissen, aber ebenso das Herausbilden der Persönlichkeit, das Vermitteln von Werten, das Miteinanderlernen sowie das Erlernen von Demokratie und sozialer Kompetenz bedeutet, dann ist damit auch unmittelbar die Frage nach dem Stand der Chancengerechtigkeit verbunden.
Wir wissen alle:
Noch immer hängt der Bildungserfolg in Deutschland stark, viel zu stark von der sozialen Herkunft ab. Auch in Nordrhein-Westfalen sind wir immer noch weit von echter Chancengleichheit entfernt. Trotz aller Maßnahmen, trotz aller Erkenntnisse.
Und genauso wissen wir alle: das kann sich unsere Gesellschaft weder sozial noch volkswirtschaftlich länger leisten. Auch deshalb hat sich der Landtag der 15. Wahlperiode mit den Bildungsfragen intensiv befasst und in zentralen Fragen über Parteigrenzen hinweg Verständigung erzielt. Der neu gewählte Landtag wird daran anknüpfend, weitere Schritte gehen, um ein gerechteres und leistungsfähigeres Bildungssystem zu schaffen.
Ziel muss es sein, alle Talente zu fördern und alle Potenziale zu entwickeln. Wir wollen niemanden – kein Kind, keinen Jugendlichen, keinen jungen Erwachsenen - zurücklassen. Hoffnungslose Fälle, Bildungsverlierer oder Bildungsresignierte können und dürfen wir uns nicht leisten.
„Niemand darf verloren gehen“ – das ist der Anspruch an ein gerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem ebenso wie an wirksame und ermutigende Zugänge zur Bildung und Weiterbildung in allen Lebensphasen.
Die Weiterbildungskollegs – auch das Ottilie-Schoenewald-Kolleg – nehmen diesen Anspruch ernst und war. Sie sind unverzichtbare Lernorte in unserer modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die den Wert der Bildung immer mehr schätzt und um die Chancen weiß, die damit für Jede und Jeden verbunden ist.
Weiterbildungskollegs haben vor allem die Menschen im Blick, die - aus welchen Gründen auch immer - im Ersten Bildungsweg nicht den erstrebten Schulabschluss erreichen konnten.
Und auch hier kommt die Chancengerechtigkeit wieder ins Spiel. Denn genau aus diesem Grund wurden vielerorts – 1987 eben auch in Bochum – Weiterbildungskollegs gegründet, um jungen Menschen die vielfach zitierte „zweite Chance“ zu geben. Und viele von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen die zweite Chance ist oftmals auch die letzte Chance.
Gerade in unserer Zeit, in der für Arbeitsplätze eine immer höhere schulische Qualifikation vorausgesetzt wird, kommt dem zweiten Bildungsweg eine ganz besondere Bedeutung zu. Er bietet die Möglichkeit, den zuletzt erreichten Schulabschluss auf ein höheres Niveau zu heben und so neue Ziele zu erreichen.
IV.
Es lässt sich noch viel zum Thema Bildungschancen und Chancengleichheit sagen, doch in der mir verbleibenden Zeit möchte ich den Blick noch auf die Studierenden und die Lehrerinnen und Lehrer richten.
Die Leistungen der Studierenden des Ottilie-Schoenewald-WBK verdienen dabei besondere Anerkennung. Die Studierenden verbinden Schule und Weiterbildung mit Beruf und Familie – fast immer eine regelrechte Herkulesaufgabe, die unsere politische Unterstützung verdient. Aufgabe von uns Politikerinnen und Politiker muss es daher sein, vorhandene Steine zu erkennen und aus dem Weg räumen, statt vielleicht aus Unkenntnis heraus, neue hinein zu rollen. Eine enge und gute Kommunikation mit den Studierenden, den Lehrerinnen und Lehrern und auch mit den Ringen hilft, diesen Fehler zu vermeiden. Danke für viele gute Gespräche, auch an diesem Kolleg.
Die Verknüpfung des Lernens und Studierens auf der einen Seite sowie dem Beruf plus der Familie auf der anderen Seite verlangt von jungen Männern und Frauen hohes Durchhaltevermögen, konsequente Arbeitsdisziplin und ein äußerst kreatives Zeitmanagement. Freizeit wird da fast immer zum Fremdwort und nur wenn man sein Ziel stets vor Augen behält, kann auch die Motivation auf einem hohen Niveau bleiben. Ohne Beratung, Begleitung und Unterstützung durch das Kolleg wäre vieles noch schwerer.
Daher ist auch die Leistung der Lehrerinnen und Lehrer an den Kollegs eine Besondere. Am Weiterbildungskolleg geht es um die Prinzipien der Erwachsenpädagogik, um das Fordern und Fördern von Erwachsenen, die ganz unterschiedliche Motive und Motivationen haben, die über unterschiedliche Vorbildung verfügen und deren Herkunft oftmals unterschiedlich ist – sprich die einen Migrationshintergrund haben. Nirgendwo ist die Heterogenität so groß wie an den Weiterbildungskollegs. Deshalb arbeiten hier Menschen, die man im positiven Sinn als Überzeugungstäter bezeichnen kann. Vielen Dank für dieses große Engagement !
Beide: Studierende und Lehrerkollegium leisten seit 25 Jahren an unserem Weiterbildungskolleg in Bochum Besonderes. Und diese Feierstunde bietet die wunderbare und passende Gelegenheit, beiden Seiten dafür von Herzen Dank zu sagen.
V.
Wenn wir heute zusammen auf das 25-jährige Bestehen des Kollegs blicken, dann schauen wir auch auf eine Einrichtung, die in diesen Jahren sowohl auf gesellschaftliche Veränderungen als auch auf Veränderungen in der Studierendenschaft reagiert, und sich kontinuierlich verändert und weiterentwickelt hat.
Wenn der Faktor Zeit immer knapper wird, dann muss man eben auch darauf mit Mitteln reagieren, die das digitale Zeitalter uns inzwischen bietet. Damit will ich auf das zweite Jubiläum hinweisen, das ebenfalls heute gefeiert werden kann:
10 Jahre Abitur online!
Vor 10 Jahren ist das Kolleg in den Modellversuch „abitur-online“ des Landes NRW mit eingestiegen. Ziel des Modellversuchs ist es, für Berufstätige eine zeit- und ortsunabhängige Form des abendgymnasialen Angebotes zu schaffen. Die Präsenz an der Schule wird dabei auf zwei Tage beschränkt. Die restliche Lern- und Arbeitszeit verbringt der Studierende auf einer Lernplattform im Internet an einem Ort seiner Wahl.
Ich habe mich deshalb sehr darüber gefreut, dass das Ministerium für Schule und Weiterbildung im Frühjahr angekündigt hat, den Modellversuch des internetgestützten Lehrgangs nun im gesamten Land anzubieten – eben weil auch das am Ottilie-Schönewald-Kolleg angebotene E-Learning-Angebot „abitur-online“ zu so vielen positiven Resonanzen und Nachfragen geführt hat.
Das ist eine wunderbare Auszeichnung Ihrer Schule – ein Qualitätsmerkmal, zu dem ich Ihnen, Herr Dr. Brinkmöller-Becker, und Ihrem gesamten Team herzlich und mit Freude gratuliere.
VIII.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, ich bin sicher, es ist deutlich geworden:
Das Ottilie-Schoenewald-Kolleg hat die Zeichen der Zeit erkannt. Es qualifiziert seine Studierenden für die Herausforderungen der Zukunft.
Und wie sagt der englische Dichter John Ruskin so richtig:
„Qualität ist kein Zufall. Es gehören Intelligenz und Wille dazu, ein Ding besser zu machen.“
In 25 Jahren hat sich viel verändert - nicht nur äußerlich. Das Ottilie-Schoenewald-Kolleg konnte auch deshalb erfolgreich bestehen, weil der innere Kompass stimmt. Wo Wertschätzung und Toleranz nicht nur im Schulprogramm stehen, sondern auch Tag für Tag gelebt werden, braucht man die Evaluation nicht zu fürchten.
Das Engagement aller Beteiligten am Ottilie-Schoenewald-Kolleg hat nicht nur zahlreichen Studierenden einen guten Start in das Berufsleben ermöglicht, sondern gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit Bochums und der Region geleistet.
Dafür möchte ich mich stellvertretend für alle diejenigen, die den Weg des Kollegs in den letzten 25 Jahren begleitet haben, bei der aktuellen Schulleitung und dem gesamten Lehrerkollegium, sehr herzlich bedanken.
Mein Wunsch an die Adresse der Studierenden lautet:
Erfolg und Durchhaltevermögen!
Halten Sie die Hand fest, die „Ottilie“ Ihnen reicht. Dann werden Sie Ihre Ausbildungsziele meistern.
Und haben Sie Mut!
Der Schriftsteller Lothar Zenetti hat ein wunderbares Mutmacher-Gedicht geschrieben, und Konstantin Wecker hat es ebenso wunderbar musikalisch interpretiert.
Ich möchte es gern an das Ende meines Grußwortes stellen:
„Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
Was keiner sagt, das sagt heraus
Was keiner denkt, das wagt zu denken
Was keiner anfängt, das führt aus.
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr's sagen
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
Wenn alle mittun, steht allein.
Wo alle loben, habt Bedenken
Wo alle spotten, spottet nicht
Wo alle geizen, wagt zu schenken
Wo alles dunkel ist, macht Licht.“
Herzlichen Glückwünsch, herzlichen Dank fürs Zuhören und uns allen später viel Freude beim Schulfest!